Nachlass Künstle und Künstle

[Kennziffern]

Gesamtzahl3.000
"Material"
    Papierabzüge?
    Filmnegative?
    Glasnegative1.300
    Filmdias?
    Glasdias?
"Zeiten"
    <1901?
    1901-1944?
    >1944?
"Digitalisiert"
    Anzahl1.300
    ZugänglichInternet (in kleiner Auswahl)

"Nachlass Künstle und Künstle" ist Teilbestand (1 von 1) von Otto Künstle, Tübingen


Link zu digitalisierten Kopien (im Internet)  (Digitale Objekte: http://www.tuebingen.de/25_9280.html)

[Beschreibung 1 von 2]

"Vortrag zur Eröffnung der Ausstellung "Das Beste von Künstle & Künstle" - Historische Fotografien aus Pfrondorf

Pfrondorf ist gewiss nicht der älteste Tübinger Stadtteil, über seine Geschichte ist auch noch keine größere Abhandlung verfasst worden. Doch in einer Hinsicht überstrahlt das Dorf am Schönbuchrand weit und breit alle andern: Es hat zwei Ortschronisten von ganz besonderer Qualität. Die griffen zwar nicht zur Feder, wie man das von Chronisten in der Regel erwartet, sondern statt dessen zur Kamera. 1929 kauften sich Otto Künstle und sein Bruder Wilhelm einen Fotoapparat. Heute wäre das vielleicht nichts besonders, doch Ende der zwanziger Jahre war die wirtschaftliche Lage schlecht. Millionen von Arbeitslosen standen auf der Straße und hatten wahrlich andere Sorgen. Allein die beiden Künstles ließen sich davon nicht beirren. Von ihrem mühsam gesparten Geld bestellten sie bei Photo-Porst in Nürnberg ihren ersten Apparat und gleich dazu die Utensilien zum Entwickeln und Abziehen der Bilder. Zum Preis von 52 Reichsmark erfüllten sie sich ihren lang gehegten Traum vom Fotografieren.
Das Herstellen von Lichtbildern war damals noch ein mühsames Geschäft. Die unhandliche Plattenkamera brauchte ein hölzernes Stativ und die Negative aus Glas mussten einzeln in die Kamera eingelegt werden. Schon allein die Handhabung des Apparates gestaltete sich so aufwändig, dass – wo auch immer die Fotografen erschienen – ihnen die Aufmerksamkeit des Publikums gewiss war. Es war die Zeit, als der Schnappschuss noch nicht erfunden war und die Leute noch geduldig und erwartungsvoll in die Linse blickten. Manch’ eine Pfrondorferin, so erzählte mir Otto Künstle, fand auch noch genügend Zeit, rasch den alten Schaffschurz durch ein sauberes Exemplar zu ersetzen. Denn fotogen wollte man sich auch damals schon der Nachwelt präsentieren.
War das Bild erst einmal im Kasten, begann für die beiden Hobbyfotografen die eigentliche Arbeit. Platte für Platte mussten sie im Dunkeln entwickeln. Das dafür benötigte Wasser holten sie sich in der ersten Zeit noch am Dorfbrunnen. Eine Wasserleitung gab es in Pfrondorf damals noch nicht. Nach der beschwerlichen Prozedur ließen sich von den Negativen - je nach Bedarf - Abzüge in verschiedenen Größen herstellen. Und der Bedarf war tatsächlich vorhanden, dies stellte sich schon bald heraus. Wer ein Bild von sich oder seiner Familie haben wollte, ließ sich von den Künstle-Brüdern fotografieren. Für 20 Pfennig konnte man einen Abzug erwerben und Verwandte oder Freunde damit beglücken.
Trotz der kleinen Nebeneinkünfte blieben die beiden Fotografen aber Amateure. Im Brotberuf war Wilhelm Künstle Schuhmacher und übte zugleich 45 Jahre lang das Amt des Kirchenpflegers aus. Sein Meisterstück, ein Paar Sonntagsschuhe, hat er natürlich in einem Foto verewigt.
Wilhelms Bruder Otto Künstle lernte zunächst das Maurerhandwerk und war dann viele Jahre lang im Innendienst des Baugeschäfts Jakob Walker tätig. Sowohl der Schuster Künstle blieb also bei seinen Leisten wie auch der Maurer Künstle. Beide entfernten sich nicht allzu weit vom angestammten Metier. Nur in ihrer Freizeit frönten beide leidenschaftlich der Lichtbildnerei: Sie porträtierten die Dorfbewohner bei der Arbeit und beobachteten die Kinder beim Spiel. Sie waren zur Stelle, wenn Feste gefeiert wurden und dokumentierten immer wieder das bunte Vereinsgeschehen. Kurz: ob Sonntag oder Werktag, die Künstle-Brüder bannten alles auf ihre Platten, was ihnen in Pfrondorf, ihrem Heimatort, bemerkenswert erschien.
Dass sich die Fotografen-Brüder ausgerechnet ihrem häuslichen Umfeld verschrieben, muss ganz besonders hervorgehoben werden. Denn die meisten Amateurfotografen meiden (heute wie damals) ihr häusliches Umfeld und den Alltag. Statt dessen packen sie die Kamera lieber ins Reisegepäck, um fernab der Heimat ihrem Hobby nachzugehen.
So war zum Beispiel der Apotheker Willy Mayer im ausgehenden 19. Jh. vermutlich als erster Tübinger Fotoamateur mit seiner kompletten Ausrüstung nach Italien gereist. Die Kiste mit seinen phantastischen Glasnegativen fand man erst vor wenigen Jahren auf dem Dachboden seiner Apotheke am Marktplatz. Von Tübingen waren aber leider keine Bilder darunter. Statt dessen befanden sich in der Kiste duzende Platten vom Markusplatz in Venedig, vom Mailänder Dom oder aus den noch unverbauten schweizerischen Alpen.
Der vielleicht exotischste Nachlass, der den Weg ins Tübinger Stadtarchiv fand, enthielt die Bilder einer phantastischen Nordlandreise vor dem ersten Weltkrieg. Die konnte sich damals ein Tübinger Kohlehändler aus der Olgastraße leisten. Auch hier war unter den vielen Aufnahmen keine einzige vom heimischen Neckarstrand.
Nicht so bei den Künstles in Pfrondorf. Die beiden Brüder blieben ihrem Heimatort treu und sie waren immer zur Stelle, wenn es dort etwas zu fotografieren gab: Bei Hochzeiten, Jubiläen, Geburtstagen oder Jahrgangsfeiern, bei den Handwerkern in der Nachbarschaft oder bei den Arbeitern im Steinbruch Nagel.
Wenn wir die Porträtierten heute betrachten, blicken wir fast wie in eine fremdes Land. Und dieses Land scheint uns gerade so fern, wie vielleicht Italien oder Skandinavien. Dabei sind die meisten Aufnahmen erst vor 60 oder 70 Jahren entstanden. Die Menschen sind natürlich anders gekleidet als heute: meist bäuerlich, die Frauen mit "Schaffschurz“, die Männer in weiten Arbeitshosen. Doch die Kleidung macht nicht den wesentlichen Unterschied. Es sind vielmehr die Gesichter vor allem der älteren Menschen, die uns faszinieren. Das Leben hat sie offenbar ganz anders geprägt, als uns heute. Vielleicht waren es Wind und Wetter, die viele Arbeit im Freien, die einseitige Ernährung oder die damals viel kürzere Lebensspanne. In einem Bild wird dieses Thema sogar direkt angesprochen: Gemeindepfleger August Nagel und seine Ehefrau Barbara konnten 1935 ihre Goldene Hochzeit feiern. Für uns heute nichts ungewöhnliches. Doch im damaligen Pfrondorf war es seit Menschengedenken das erste Paar, dem diese lange Lebensspanne zu teil wurde. Niemand im Ort konnte sich seinerzeit an eine frühere Goldene Hochzeit erinnern. Wenn wir in die Gesichter dieser Menschen blicken, bekommen wir vielleicht eine Ahnung davon, in welch‘ kurzer Zeit und welch‘ drastischen Schritten sich unsere Lebenswelt in den letzten Jahrzehnten verändert hat - vor allem auf dem Land, in den Dörfern, im landwirtschaftlich geprägten Umfeld.
Zum Kennzeichen von engagierten Amateuren gehört, dass sie ihre Ausrüstung ständig erweitern und verbessern müssen. So auch die Künstles. 1934 besaßen sie bereits drei Fotoapparate: zwei Plattenkameras und eine Korelle, das war eine Vorläuferin der heutigen Kleinbildkamera. Mit ihren verschiedenen Apparaten fertigten sie bis 1950 rund 3.000 Aufnahmen von Personen, Bauwerken, Straßen und Ereignissen in ihrem Heimatdorf. Das eindrucksvolle Archiv hat sich bis heute vollständig im Hause von Otto Künstle erhalten. Nur die alte Plattenkamera von 1929 ist abhanden gekommen. Sie wurde 1945 bei Kriegsende von den Franzosen beschlagnahmt.
In der Vitrine ist eine kleine Auswahl alter Kameras zu sehen. Die meisten wurden von den Künstles erst in den letzten Jahren zusammen gesammelt. Sie erinnern daran, dass noch ein anderer Pfrondorfer einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Fotografie geleistet hat. In diesem Fall nicht nur für seinen Heimatort, sondern weit darüber hinaus. Sein Name war August Nagel. Er entstammte der weitverzweigten Familie Nagel, die ihre Anfänge in Pfrondorf über 400 Jahre zurückführen kann. August Nagel erblickte hier 1882 das Licht der Welt. In den 20er und 30er Jahren entwickelte er in Stuttgart neue Kameramodelle, die wegen ihrer Präzision bald Weltruhm erlangen sollten. Seine Firma, das Nagel-Werk, gründete er in Stuttgart-Wangen. Anfang der 30er Jahre fusionierte er mit der Firma Kodak, die bis heute das alte Nagelwerk unter ihrem Namen in Stuttgart Wangen fortführt.
Offenbar haben die Pfrondorfer, heißen sie nun Nagel oder Künstle, den Geist der Fotopioniere im Blut. Otto Künstles Mutter jedenfalls war eine geborene Nagel und selbstverständlich war sie - um wie viele Ecken auch immer - mit dem berühmten Foto-Nagel verwandt.
Lange Zeit haben die Künstle-Bilder im Verborgenen geschlummert. Erst vor vier Jahren hat sich das geändert. Seitdem sind Otto Künstle und sein gleichnamiger Neffe aus Wannweil damit beschäftigt, die Negative aufzuarbeiten. Die 1.300 Glasplatten wurden eingescannt und von den Negativstreifen Kontaktabzüge hergestellt. Nach und nach wurde das Bildarchiv geordnet und erschlossen, Zeitzeugen wurden befragt und auf diese Weise ergänzende Informationen zu den Bildinhalten zusammengetragen. Das machen die beiden Künstles (Senior und Junior) mittlerweile im Team ganz professionell. Sie entwickelten ein eigenes Formular, auf dem neben dem beschreibenden Text auch Platz für die Negativnummer ist. Wie bei den Profis hat jetzt jede Aufnahme eine eigene Signatur. Aber, was das wichtigste ist: jeder kann sich mit dieser Nummer bei den Künstles einen modernen Abzug bestellen. Die Pfrondorfer werden das gerne hören, längst verloren geglaubte oder verblichene Abzüge lassen sich auf diese Weise erneuern.
"Künstle & Künstle“ ist nicht die erste Ausstellung der Pfrondorfer Foto-Künstler. Es gab zuvor schon Ausstellungen in Pfrondorf selbst und im Anschluss daran eine Auswahl von Aufnahmen im Tübinger Hirsch. Doch die heutige Präsentation ist mit Abstand die umfangreichste, die es bislang gegeben hat. Wenn man so will ist sie eine Homage an Otto Künstle, der noch in dieser Woche sein 94. Lebensjahr vollenden wird - und natürlich auch an seinen älteren Bruder Wilhelm, der leider schon vor neun Jahren (1995) verstorben ist.
"Künstle & Künstle“ meint natürlich in erster Linie die beiden fotografierenden Brüder. Eigentlich müsste die Ausstellung aber "Künstle, Künstle & Künstle“ heißen. Denn ein dritter im Bunde darf hier nicht vergessen werden: Der Neffe unseres Seniors, der ebenfalls Otto Künstle heißt. Der Junior - wenn ich so sagen darf - hat mittlerweile auch schon die 60 überschritten. Er ist in den letzten Jahren seinem Onkel hilfreich zur Seite gestanden, hat die Negative eingescannt und war beim Ordnen und Erschließen der alten Glasplatten behilflich. Er ist also der Mann am Computer, ohne den die moderne Fotografie heute kaum mehr zu denken ist.
Stadtarchivar Udo Rauch, April 2004"

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[Beschreibung 2 von 2]

"Ansichten von Pfrondorf Zwischen 1929 und 1950 haben die Brüder Wilhelm und Otto Künstle ihren Heimatort Pfrondorf und seine Bewohner/innen in mehr als 3.000 Aufnahmen abgelichtet. Der einmalige fotografische Bestand zeigt das Leben im Dorf, das damals noch überwiegend landwirtschaftlich geprägt war. Im April 2004 erhielt das Stadtarchiv Tübingen etwa 1.300 Scans von den interessantesten Aufnahmen. Die Originale selbst (Glasnegative im Format 9 x 12 cm) werden dagegen weiterhin im Besitz der Familie bleiben"

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